if you read German, you may enjoy Dietmar Dath's article. It is well written and there are some laughs.
======quote from Frankfurther Allgemeine======
Stringtheorie
Schlimmer als falsch
Von Dietmar Dath
31. Juli 2006
Wissenschaftler sind auch nur Menschen, und wer das Temperament zur überschäumenden Rechthaberei nicht besitzt, hat vielleicht auch die Energie nicht, die nötig ist, sich in die Phänomene so tief einzugraben, daß sich ihr Innerstes dem Verstand erschließt.
Fehlendes Feuer kann man dem theoretischen Physiker Lubos Motl von der Universität zu Cambridge in Massachusetts nicht vorwerfen. Was andere denken, nennt er, wenn es ihm widerstrebt, womöglich „Müllwissenschaft“. Gern beschwert er sich darüber, daß es auf der Welt von „Spinnern“ und „Idioten“ wimmelt. Und in seinem oft polemischen Netztagebuch
http://motls.blogspot.com hält er sich, wenn's zur Sache geht, strikt an die Devise, daß der Degen nicht gezückt werden muß, wenn es auch der Knüppel tut. Man kann sich die Weißglut folglich leicht vorstellen, die von Motl Besitz ergriffen haben muß, wenn ihm selbst seine wüsten Ausdrücke nicht mehr genügen und er nur noch von „Verächtlichkeit“ ächzt, einen „gewissen Dozenten an der New Yorker Columbia University“ schmäht und dessen Werk ohne Nennung des Titels als „ein Buch“ verdammt, „das wir alle kennen“.
Der Mann, dem diese Invektiven gelten und der diverse Versuche überstehen mußte, besagtes Buch in den Leserforen der großen Internet-Versandfirmen mit negativer Kritik zu beschießen, heißt Peter Woit. Er ist Physiker, unterrichtet Studenten dieses Faches und hat etwas aus Motls Sicht Unverzeihliches getan, nämlich ein ganzes Forschungsprogramm der gegenwärtigen Physik, das glamouröseste und geheimnisvollste, dem mathematische Stars wie Edward Witten und Joseph Polchinski zuarbeiten, als Fehlschlag und Sackgasse denunziert.
Stringtheorie gar keine Theorie?
Woits Buch „Not even Wrong - The Failure of String Theory and the Continuing Challenge to Unify the Laws of Physics“, das in England bereits erschienen ist und in Amerika demnächst erscheinen wird, hat weit über die Kreise praktizierender Physiker hinaus und bis in die Spalten des „Wall Street Journal“ für Aufsehen gesorgt. Mit einer Entschlossenheit, die hinter der Bärbeißigkeit Motls nicht zurücksteht, erklärt Woit, er sei von seiner Position seit Beginn des publizistischen Echos auf sein Buch noch überzeugter als zuvor, denn bislang wisse er von „keiner einzigen ernsthaften Erwiderung - Lubos zählt nicht“. Als besonders angenehm dürfte er außerdem empfinden, daß er seit Beginn der Auseinandersetzung nicht nur Feinde wie den, welchen er nur noch beim Vornamen nennt, sondern auch Freunde gewonnen hat. Zum Beispiel die zahlreichen Verfasser positiver Leserkritiken, die man bei den Buchversendern nachlesen kann, oder den angesehenen Physiker Roger Penrose, der von „fesselnder Lektüre“ spricht, oder Penroses Kollegen, den Kosmologen Lee Smolin, der selbst vor offener Parteinahme nicht zurückschreckt: „Dies ist ein mutiges und notwendiges Buch.“
Lob ist nicht alles, was Smolin beisteuert. Demnächst erscheint sein eigenes neues Buch, dessen Titel „The Trouble with Physics: The Rise of String Theory, The Fall of a Science, and What Comes Next“ dem, was Woit will, verwandt genug ist, daß man von gemeinsamer Stoßrichtung sprechen darf. Es geht gegen die sogenannte Stringtheorie. Schon dieser Name, sagen deren Kritiker, sei eine unzulässige Eigenwerbung. Denn in Wahrheit handele es sich dabei nicht um eine systematische Thesenarchitektur, sondern um eine lose verbundene Familie von Vermutungen, mathematischen Instrumenten und Erklärungsansprüchen, deren innere Abgrenzung voneinander ebenso ungeklärt sei wie ihr Geltungsbereich.
Theoretische Physik versteht sich selbst nicht
Was man heute „Stringtheorie“ nennt und was sich in Fernsehserien oder Bestsellern wie Brian Greenes „Das elegante Universum“ nicht selten als die Lösung der größten und letzten verbliebenen Probleme des gesamten Unternehmens „moderne Physik“ dargestellt findet, verdankt seine Existenz einem erstaunlichen Umstand: Die theoretische Physik hat stellenweise größere Schwierigkeiten damit, sich selbst zu verstehen, als damit, die Welt zu beschreiben. Folgt man Wissenschaftsphilosophen wie Karl Popper, dann sollte es eigentlich genau andersherum sein: Was eine Theorie zu Fall bringt, ist dessen Lehren zufolge immer ihre Nichtübereinstimmung mit neuen Befunden. Drolligerweise jedoch haben die beiden fundamentalen begrifflichen Apparate des Weltverständnisses der modernen Physik, nämlich die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie, zahllose derartige Proben glänzend bestanden, während ihrer Abstimmung aufeinander bis heute Hindernisse entgegenstehen - mit dem Datenmaterial vertragen sie sich ausgezeichnet, nur untereinander nicht.
Das liegt vor allem daran, daß die Theorie fürs Kleinste, die Quantenmechanik, einen diskreten, in energetische, räumliche und zeitliche Päckchen unterteilten Kosmos beschreibt, während die Theorie fürs Große, die Geometrodynamik oder allgemeine Relativitätstheorie, ihren Berechnungen ein kontinuierliches, wenn auch knautschbares und dehnbares Universum zugrunde legt.
Allerlei zusätzliche Dimensionen
Die Stringtheoretiker rücken den dadurch aufgekommenen Unstimmigkeiten mit allerlei zusätzlichen Dimensionen und der Abschaffung der Idee des punktförmigen Teilchens zu Leibe. Was ihre jüngst lautgewordenen Gegner wie Woit und Smolin vor allem ärgert, ist nicht dies, sondern dreierlei: erstens der Anspruch der Stringforscher, den einzigen Weg zur Vereinheitlichung der fundamentalen Naturkräfte zu beschreiten; zweitens die Tatsache, daß sich die Vorschläge der Stringtheoretiker bislang der experimentellen Erhärtung wie Widerlegung entziehen; und schließlich drittens die zunehmende Unübersichtlichkeit des stringtheoretischen Weges und seiner Seitenarme.
Daß es noch andere Versuche gibt, eine „Theorie für alles“ zu erfinden, als diejenigen, die das Garn der Stringforscher zusammenhält, entwickelt Woit in seinem konzisen, spannenden und insgesamt erfreulich fairen Überblick über die jüngere Physikgeschichte überzeugend. Einer der aussichtsreicheren Versuche in diese Richtung hört auf den Namen „Loop Quantum Gravity“ und begnügt sich mit dem Ziel einer „Quantisierung der Raumzeit“ - was schwierig genug ist, aber nicht unvorstellbar, und den viel weiter reichenden Vereinheitlichungsversprechen der Stringkoryphäen das Fehlen diverser hyperdimensionaler Zusatzannahmen voraushat (eine hervorragende Einführung in den Schlaufen-Ansatz hat der deutsche Gravitationsphysiker Thomas Thiemann in der Ausgabe 1/2006 des Publikumsmagazins der Max-Planck-Gesellschaft „Max Planck Forschung“ publiziert). Die experimentelle Nagelprobe für stringtheoretische Spekulationen mit den Mitteln existierender Versuchstechnik läßt derweil auf sich warten - „Könnte man sie widerlegen? Noch nicht“ sagt selbst der Autor eines verbreiteten Superstring-Lehrbuchs Joe Polchinski.
Fortschritt wird durch Kompliziertheit verspielt
„Etwas erklären“ heißt für den exakten Naturwissenschaftler, daß jemand eine mathematische Beschreibung eines beobachtbaren Sachverhalts findet, die alles wegläßt, was nicht nötig ist, um diesen Sachverhalt jederzeit praktisch reproduzieren, seine Folgen vorhersagen und das, was ihm vorangeht, rekonstruieren zu können. In genau diesem Sinne erklären die diversen Stringtheorien und die ihnen übergeordnete, bislang unausgeführt gebliebene, sie zusammenführende „M-Theorie“ nach Ansicht von Woit und Smolin heute zuwenig - nämlich nicht mehr, sondern eher weniger als ihre Frühformen vor Jahren. Was sie an Vereinfachung und Glättung älterer mathematischer Konstruktionen geleistet haben, wird, meinen die Kritiker, durch ihre eigene Kompliziertheit gerade wieder verspielt. „Nicht einmal falsch“ sind sie, so Woit, sondern, schlimmer, unfruchtbar.
Solche Kritik greift indes nirgends die wichtigsten theorieleitenden Vorannahmen der Stringdenker an; sie kommt nämlich wie das, was jene tun, aus dem Inneren der physikalischen Moderne. Auf binnenmathematische Kriterien für die Gelungenheit einer phsyikalischen Welterklärung wie etwa Symmetrie, gruppentheoretische Überlegungen, topologische Aspekte und Verwandtes wollen Woit, Smolin oder Penrose ebensowenig verzichten, wie etwa Adorno zur überkommenen Harmonik zurückwollte, als er über das „Altern der neuen Musik“ schrieb. Daß Gleichungen Dinge erläutern können, die sich der Anschauung entziehen, weil die Evolution unsere Hirne nicht dafür gerüstet hat, subatomare oder großräumig kosmische Sachverhalte intuitiv zu erfassen, würden die Kritiker der Stringphysik nicht bestreiten wollen.
Wissenschaft muß sich selbst korrigieren wollen
Wissenschaft hat dem Offenbarungsglauben voraus, daß sie sich selbst korrigieren kann. Gerade wo unser Wissen Bereiche erschließt, die sich unserer Anschauung entziehen, muß diese Offenheit gewahrt bleiben und verteidigt werden. Wir dürfen von Wissenschaftlern nicht erwarten, daß sie dem letzterreichbaren Komplettwissen vorgreifen; aber wir dürfen fordern, daß sie sich darum bemühen, herauszukriegen, was sie noch nicht ahnen.
Solange es in der theoretischen Physik noch inspirierte Eiferer wie Lubos Motl und kluge Zweifler wie Peter Woit gibt, sind faule Kompromisse dabei ausgeschlossen.
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